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Abflug Casa, Landung im Graben
Ich brauche wohl nicht näher auszuführen, dass es mehr als nur unvernünftig war, in diesem Land nachts durch die Gegend zu fahren. Aus Sicherheitsgründen hatte ich meinen Kanister wieder randvoll mit Benzin
gefüllt, um nur nicht irgendwo wegen Spritmangels liegen bleiben zu müssen. Bis Rabat lief alles wie am Schnürchen. Kein Wunder, verbindet doch Casablanca und Rabat das einzige Stückchen Autobahn in ganz
Marokko. Doch danach sollte es das böse Erwachen gebe. Auf der Landstraße 2, zwischen Rabat und Kenitra, kam mir ein einäugig beleuchteter Kleinlaster über einer Bergkuppe direkt auf meiner Fahrbahn entgegen.
Der unmittelbar vor mir herfahrende PKW konnte gerade noch in Richtung Graben ausweichen. Wollte ich nicht kollidieren, musste ich ihm folgen. Soviel Zeit zum Überlegen hatte ich natürlich nicht mehr. Ich sah nur
den Scheinwerfer direkt vor mir auftauchen, Steine flogen mir, durch meinen Vordermann aufgewirbelt entgegen, steuerte dann in den Straßengraben, verlor die Gewalt über mein beladenes Gefährt und überschlug mich
schließlich mitsamt dem Roller. Immerhin war ich mit mindestens achtzig Kilometern pro Stunde gestürzt. Es dauerte eine ganz Weile, bis ich meine Gliedmaßen sortiert und auf Verletzungen hin untersucht hatte. Ich
hatte 'mal wieder Glück gehabt: mein linker Motorradstiefel war bis auf meine Socke durchgescheuert, mein Fuß aber völlig unversehrt; meine Jeans war an den Knien und im Oberschenkelbereich aufgerissen,
außer kleinsten Schürfwunden hatte ich nichts abbekommen. Weniger rosig war es um meinen Roller bestellt: tausende von Kilometern hatte ich ihn über mittelmäßige und schlechte Straßen geprügelt, alles
hatte er ohne zu Murren mitgemacht; nun lag er im Dreck, verbeult und verbogen. Was wollte ich auch mitten in der Nacht auf dieser einsamen Landstraße? Hatte es nicht so kommen müssen? Das Sprichwort scheint zu
stimmen: jeder bekommt das, was er verdient hat! Der Schreck saß mir noch in den Gliedern, als ich versuchte, den Roller aufzurichten, was sich jedoch als aussichtsloses Unterfangen herausstellen sollte. Hilfe
war natürlich wieder nicht zu erwarten. Weder mein Vordermann, noch der eigentliche Unfallverursacher hatten sich die Mühe gemacht, anzuhalten, obwohl beide gesehen haben mussten, dass ich mit meinem Zweirad
gestürzt war. Wer da also meint, ihm würde wenigstens in ernsten Fällen geholfen, der sei hier eines Besseren belehrt. Mit anderen Worten: hätte ich mich schwer verletzt, so wäre mein Schicksal besiegelt
gewesen. Eine Aussicht, bei der mir noch heute der Angstschweiß aus allen Poren bricht. Zusätzlich war meine Situation dadurch erschwert, dass die Unfallstelle in völliger Dunkelheit lag. Da mein Roller, wie
schon erwähnt, kein Standlicht hatte, Licht also nur bei laufender Maschine zur Verfügung stand, war guter Rat teuer. Zudem hatte ich meine Taschenlampe in irgendeinem meiner Säcke unzugänglich verstaut. Ich
gebe zu: ein Kardinalfehler. Als Empfehlung kann ich nur raten: man besorge sich eine der leistungsstarken und bleistiftgroßen Halogentaschenlampen und führe diese immer "am Mann oder an Frau". Mir
blieb jedenfalls nichts weiter übrig, als mich mit meiner weißen Lederjacke auf die Straße zu stellen und zu versuchen, ein vorbeifahrendes Fahrzeug anzuhalten. Bei meiner Glückssträhne hoffte ich nur, dass es
dann keine Gangster sein würden, die es nur auf mein Gepäck abgesehen hatten. Mit meinem ebenfalls weißen Helm "sicherte" ich die Unfallstelle. Sobald sich ein Fahrzeug näherte, sprang ich auf die
Fahrbahn und ruderte eindeutig mit den Armen. Die erste Stunde war vergangen, ohne dass ich einen Erfolg hätte verbuchen können. Im Gegenteil: vier, fünf Autos waren, ohne auch nur ihre Geschwindigkeit minimal
herabzusetzen, vorbeigerast. Ein Fahrer hupte mich sogar von der Bahn. Sollte ich hier etwa die Nacht verbringen müssen? Sicherlich bestand bei vielen Vorbeifahrenden auch die Angst vor einem Überfall: wer
konnte schon wissen, dass ich wirklich in Not war und nicht zu jenen Gesellen gehörte, die Karambolagen vortäuschen, um ihre Helfer auszurauben. Doch schließlich erbarmten sich doch zwei LKW-Fahrer meiner, denen
ich auch fast vor den Kühler gesprungen war. Gemeinsam richteten wir im Scheinwerferlicht ihres Fahrzeuges meinen lädierten Roller auf. Er hatte nicht nur eine große Anzahl von Beulen davongetragen, sondern auch
einen Teil des Benzins verloren. In Anbetracht der rotglühenden Zigaretten in Händen der Fahrer ein bedrohlicher Umstand. Doch es sollte keine weiteren Verschlimmerungen meiner Lage mehr geben. Die Motorhaube
meiner Vespa war völlig verbogen. Sie hatte sich sogar in das Kühlgebläse gedrückt und so den Motor blockiert. Nichts ging mehr. Meine Helfer machten sich wieder auf den Weg. Im schwachen Licht des am Firmament
erschienenen Mondes schickte ich mich an, die notwendigen Ausbeul- und Richtarbeiten vorzunehmen. Vor Aufregung und Anstrengung schlotterten mir die Knie. Jeder Handgriff viel mir schwer. Dazu kam die Kälte der
Nacht; keine Spur von den heißen Saharatagen. Nach längerem Gefummel und Gewürge sprang mein Roller wieder an. Um das Maß voll zu machen, beschloss ich, meinen Unfall auf der nächsten Polizeistation zu melden.
Nach zwanzig weiteren Kilometern erreichte ich Kenitra. Die Gendarmerie fand ich relativ schnell. Alles ruhte. Ich schellte und hämmerte gegen die Tür, bis mir endlich ein mit Schlafmütze! ausgestatteter
Polizist öffnete. Er murrte mir kurz etwas entgegen, ließ mich eintreten und verschwand dann wieder, um kurze Zeit später genauso verknittert und zerzaust, dafür aber in eine Uniform gehüllt, wieder
aufzutauchen. Mit einigen Worten Englisch, Deutsch und unter Zuhilfenahme eines französischen Wörterbuches setzte ich ihn über die Geschehnisse der letzten Stunden in Kenntnis. Auf seine Fragen nach dem
Fahrzeugtyp und der Nummer des Verursachers konnte ich verständlicherweise keine Angaben machen. Ein Teil der marokkanischen Autos fährt mit selbstgemalten, kleinsten Kennzeichen herum. Andere sparen diese ganz
ein. Um es kurz zu machen: ich verbrachte eine gute Stunde auf dem Polizeirevier ohne den geringsten Erfolg. Mittlerweile hatten sich zwar mehrere Beamte eingefunden, die mein Wüstenschiff interessiert
betrachteten, helfen konnte mir aber niemand. Auch wollte niemand irgend etwas schriftlich festhalten. Immerhin bot man mir einen Tee an und ich konnte mich aufwärmen. Ich sollte in ein Hotel gehen, um am nächsten
Tag noch einmal alles zu Protokoll zu geben. Auf diese Sondereinlage verzichtete ich aber dann lieber doch. Im Grunde war ich schon froh, dass man mich nicht gewaltsam festhalten wollte. Und die Moral von der
Geschicht': Gehe davon aus, dass dir niemand hilft, egal was passiert und vermeide es, Beamte nachts zu belästigen. Da möchte ich mich schon fast einem Ratschlag anschließen, der in einigen
Überlebenshandbüchern gegeben wird: hast du einen Unfall verursacht, fliehe, solange du noch kannst. Einmal wurde ich Augenzeuge, wie sich zwei Fahrzeugführer nach einem kleinen Blechschaden prügelten. Die
Hemmschwelle, sein Recht in die eigene Hand zu nehmen, ist in vielen Ländern eben viel niedriger angesetzt, als beispielsweise in Deutschland, wenngleich sie auch hierzulande ständig zu sinken scheint.
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