Endlich "auf See"
Mittlerweile hatte sich unsere Fähre genähert; nach einigen Minuten war das
Schiff vertaut und die Laderampe senkte sich. Ein Einweiser deutete auf eine kleine Nische, in der ich meine Vespa mit Ketten und Tauen verzurrte. Obwohl ich vom Deckspersonal die Erlaubnis hatte, bei meinem Roller
auf dem Autodeck bleiben zu dürfen, konnte ich der Versuchung, das Oberdeck zu betreten, nicht widerstehen. Ein eisiger Wind hatte bereits den größten Teil der Passagiere auf das geschlossene Personendeck
getrieben. Schließlich brauchte ich den herrlichen Ausblick auf das kleiner werdende Gibraltar und auf die herannahende afrikanische Küste nur noch mit zwei Möwen zu teilen. Nach einem ruckfreien
Anlegemanöver des Fährkapitäns starteten die schon in ihren Autos lauernden Fahrer die Motoren, obwohl sich die Laderampe noch nicht einmal bewegt, geschweige denn gesenkt hatte. Nach einigen Minuten erfüllten
dichte Benzindämpfe den Frachtraum und ich konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Hustend stand ich an meinem Fahrzeug. Da, endlich knarrten die zur Steuerung der Rampe bestimmten Stahlseile und Scharniere.
Ohne System und Disziplin rasten nun alle los. Geduldig wartete ich, bis sich das Chaos gelichtet hatte. Erst jetzt startete ich den 200ccm Motor und knatterte auf den Boden Ceutas, der spanischen Enklave auf dem
Boden Afrikas. Hier wollte ich eigentlich ein oder zwei Tage verweilen. Doch die in der Nähe lockende marokkanische Grenze ließ mir keine Ruhe. Noch heute wollte ich marokkanischen Boden betreten. Ein Entschluss,
dessen Tragweite ich zu diesem Zeitpunkt nur schwerlich erfassen konnte! Bevor ich mich auf den Weg machte, nutzte ich noch die Möglichkeit meinen Tank und den 20l-Kanister mit zollfreiem Normalbenzin zu
füllen.
Grenzverkehr
Nach einigen Kilometern auf einer asphaltierten Küstenstraße
erreichte ich schließlich die spanisch-marokkanische Grenze. Ein nicht gerade Vertrauen erweckendes längliches Gebäude kam in Sichtweite. In Schritttempo und mit entsprechendem Respekt näherte ich mich den
Örtlichkeiten. Ein grimmig blickender Beamte stieß gerade eine ältere Marokkanerin fast zu Boden. Sie konnte sich aber gerade noch fangen, ihre in zahlreichen Plastiktüten untergebrachten Utensilien rollten
jedoch quer über die Straße. "Das kann ja heiter werden", dachte ich. In diesem Augenblick spricht mich ein freundlicher, in Uniformjacke gekleideter Mann in gutem Deutsch an. Ob er mir irgendwie
behilflich sein könnte? Freudig teilte ich ihm mit, dass ich meinen Urlaub in Marokko verbringen wollte. Daraufhin drückte er mir ein Formular in die Hand, auf dem ich meinen Namen, die Nummer meines
Reisepasses, mein Endreiseziel und einige Details meines Rollers eintragen sollte. Ich kam seiner Aufforderung natürlich sofort nach. Mit diesem Schrieb und meinem Reisepass verschwand er kurze Zeit aus meinem
Blickfeld. Ich konnte nur hoffen, dass er gerade keinen persönlichen Bedarf an deutschen Reisepässen hatte. Zu meiner großen Freude (und Überraschung) tauchte er nach fünf Minuten wieder auf. Ich sollte mich
nach seiner Weisung an einen Schalter stellen. Dies tat ich dann auch. Dort gab ich meinen Pass mitsamt dem zuvor ausgefüllten Formular ab. Auch dieser Beamte verschwand daraufhin mit meinen Dokumenten. Unterdessen
führte ich ein Gespräch mit meinem freundlichen Helfer. Auf die Frage welche Funktion er denn hätte, antwortete er: "Ich bin ein offizieller Grenzhelfer und betreue die in unser Land einreisenden
Touristen.“ Über soviel Service war ich natürlich entzückt. Der Beamte kam gerade mit meinem Pass zurück. Bevor er ihn mir zurückgab verzierte er ihn noch mit einem großflächigen Einreisestempel. Doch
damit war der Prozedur keinesfalls genüge getan. Wie ich von meinem "Helfer" erfuhr, war dies erst der polizeiliche Teil meiner Einreise. An einem weiteren Schalter wurde dann schließlich mein Roller
registriert und in meinem Reisepass vermerkt. Nach diesem Akt forderte mich mein Freund auf ihm umgerechnet 25 DM für seine wertvollen Dienste zu überlassen. Daher also wehte der Wind! Als er merkte, dass ich
nicht direkt meine Börse zückte, wurde er schon zudringlicher: mit einigen Beschimpfungen versuchte er seinen Forderung Nachdruck zu verleihen. Ich entschloss mich, ihm umgerechnet 2 DM zu überlassen. Ich dachte,
dass er jetzt wohl zufrieden abziehen würde, hatte er doch wirklich nur zwei Handgriffe für mich getan. Doch ich sollte mich getäuscht haben. Lieber wollte er ganz auf ein Trinkgeld verzichten, als diesen
beschämenden Betrag anzunehmen. Mir reichte es jedenfalls. Ich steckte mein Geld wieder in die Tasche und wollte starten. Sofort ergriff er meinen rechten Arm und hielt mich fest. Die Beschimpfungen, die ich mir
nun anhören musste, verschlugen mir fast die Sprache. Die unmittelbar neben uns "arbeitenden" Polizisten und Zöllner nahmen uns jedoch überhaupt nicht zur Kenntnis. Langsam rann mir der Schweiß über
die Stirn. Mit einem Blitzentschluss riss ich mich los und fuhr bis zu dem in fünfzig Metern befindlichen noch gesenkten Schlagbaum. Mein "Helfer" folgte mir nicht mehr. Der dortige Beamte verlangte noch
einmal meinen abgestempelten Pass und ließ mich dann passieren. "Das hätte ich geschafft", so dachte ich zumindest. Doch kaum hatte ich in unmittelbarer Nähe der Grenze gehalten, um meine Dokumente
wieder ordentlich zu verstauen, da wurde ich in Windeseile von einer Gruppe Marokkaner umzingelt. Jeder probierte sofort jeden Hebel und Schalter meiner Vespa aus. Einige erdreisteten sich sogar meinen Spiegel zu
verbiegen und die Elastizität meiner Windschutzscheibe auf die Probe zu stellen. Ich beeilte mich, meine Papiere zu verstauen, um danach ihrem Treiben Einhalt gebieten zu können. "Du Hasch? Good smoke!",
diese Frage musste ich wohl noch hundertmal während meines Marokkoaufenthaltes verneinen. Obwohl wir uns direkt an der Grenze befanden, hatten sie keine Scheu ihre Rauschgifte anzubieten. Unterdessen hatte sich ein
flaues Gefühl in meiner Magengegend eingestellt. Sollte ich jetzt vier Wochen auf der Flucht vor Rauschgifthändlern leben? Ich legte den ersten Gang ein und gab Vollgas. Die Meute spritzte fluchend auseinander. Im
Rückspiegel sah ich, wie sie ein neues Opfer einkreisten. Ich musste mich erst einmal von den Ereignissen der letzten zwei Stunden erholen und vermied daher ein nochmaliges Anhalten. Überall lagen Wegelagerer am
Straßenrand, die die Vorbeifahrenden durch Ziehen an einer imaginären Zigarette zum Anhalten bewegen wollten, um auf diese Weise entweder selbst in den Genuss der begehrten Rauchware zu gelangen, oder aber, um
Rauschgifte feil zu bieten. Ich hatte jedenfalls Schwierigkeiten zu begreifen, dass ich nach dem Passieren des Schlagbaums der Grenzstation eine andere Welt betreten hatte. Diese Erkenntnis sollte noch einige
Stunden auf sich warten lassen. Während ich auf der Küstenstraße in Richtung Tetouan weiterfuhr, beruhigten sich meine Nerven allmählich, zumal die Landschaft einfach begeisterte: lange Sandstrände auf der
einen und dicht bewachsene Hügel auf der anderen Seite säumten meinen Weg.
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