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                            Die Todrhaschlucht
  Während ich im heimatlichen Ruhrgebiet oft morgentliche Anlaufschwierigkeiten habe, 
                                fühle ich mich im Urlaub stets frisch und ausgeruht. Vielleicht liegt es einfach an der besseren Luft, dem Klima, oder an der grundsätzlich andersartigen Zeitrechnung, der Urlaubszeitrechnung? Obwohl gestern 
                                erst in der Wüste gewesen und anschließend vor Anstrengung fast zusammengebrochen, sprang ich am nächsten Morgen schon um 6.30 Uhr "aus den Federn". Und wenn ich heute daran denke, wie gut entspannt und 
                                wirklich ausgeschlafen ich damals war... Dank Christian konnte ich mir eine heiße Tasse Kakao brauen und somit ein für mich "richtiges" Frühstück verspeisen. Nachdem ich mein Gefährt wieder 
                                beladen hatte - rückblickend beschleicht mich das Gefühl, der Urlaub habe überwiegend aus dem Be- und Entladen meines Rollers bestanden - befuhr ich eine kleine Landstraße, die Erfoud mit Tinejdad verband. Die 
                                Straße war in einem überraschend guten Zustand, allerdings so schmal, dass zwei sich begegnende LKW jeweils mit einer Fahrzeugseite auf dem unbefestigten Seitenstreifen landeten, wollten sie einen 
                                Frontalzusammenstoß vermeiden. Gerät man mit einem Zweirad in die Nähe solcher "Machtkämpfe", so darf man getrost davon ausgehen, dass die anderen Fahrzeugführer keinerlei Rücksicht auf den 
                                schwächeren Verkehrsteilnehmer nehmen werden. Schon wenn ich von weitem einen Lastwagen ausmachen konnte (egal ob im Rückspiegel oder von vorne), ging ich vom Gas, verließ die Straße und blieb solange in 
                                sicherem Abstand stehen, bis die Gefahr in Form von spritzenden Steinen und Stoßstangen im wahrsten Sinne des Wortes vorüber war. Doch solche Begegnungen sind eher die Ausnahme. In der Regel kann man sich noch 
                                während des Fahrens die Landschaft anschauen, ohne gleich auf der Nase zu liegen, oder mit Fremdfahrzeugen zu kollidieren. Auf diese Weise war es mir vergönnt ein seltenes Naturschauspiel zu beobachten: die 
                                silberne Sichel des Mondes stand noch deutlich sichtbar über einem kahlen, sandsteinfarbenen Hügel, derweil sich die blaßgelbe Sonne anschickte, sie förmlich aufzufressen. Fotos, auf denen derartige Vorgänge 
                                festgehalten waren, hatte ich meist für Montagen gehalten. Manche müssen eben alles erst mit eigenen Augen sehen, bevor sie es glauben können... Mein Roller hatte die Wüstentour augen- und ohrenscheinlich 
                                ausgezeichnet verkraftet. Er knatterte unverdrossen vor sich hin, ohne die hohen Temperaturen oder meine relativ hohe Reisegeschwindigkeit, denn ich fuhr knappe hundert Kilometer pro Stunde, übel zu nehmen. Auch 
                                litt er weder an Überhitzungen oder übermäßigem Benzinverbrauch. Natürlich machte dies alles auch dem Fahrer Spaß. Die miserable Sitzbank spürte ich nicht mehr, die feinen Vibrationen des Zweitaktmotors 
                                ignorierte ich. Ich hatte einmal mehr jenes Gefühl von Freiheit und Abenteuer - und das als Nichtraucher! Schließlich sind dies die Augenblicke, die sich für immer in unser Gedächtnis brennen: das Erleben von 
                                Landschaft, nicht das Vorbei- oder Durchfahren. Die Zeit verging wie im Flug und damit auch die zurückgelegten Kilometer. Längst hatte ich die Landstraße 32 erreicht. Nur noch knappe siebzig Kilometer musste ich 
                                nach Tinerhir und der knapp dahinter liegenden Gorges du Todrha zurücklegen. Mit dem Anblick einer der schönsten Oasen wurde ioch belohnt. Die abzweigende kleine Straße durch einen Teil der Oase führte mich 
                                direkt in die Schlucht. Die ausschweifenden und ansonsten oft überschwenglichen Beschreibungen der klassischen Reiseführer werden der Todrhaschlucht jedoch nur in den seltensten Fällen gerecht: einmalig und ein 
                                Muss für den Reisenden, der das Glück hat, sich in der Nähe der Schlucht aufzuhalten. 
                              
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                            Auch die Marokkaner haben selbstverständlich den Reiz dieses Ortes erkannt und folglich ein Hotel-Restaurant am Fuß der Schlucht eröffnet. Hier 
                                gehören die mit Bermudashorts bekleideten Touristen samt der unvermeidlichen Buskarawane genauso dazu, wie ein Fuhrpark Geländewagen, mit denen man sich nach stattlicher Bezahlung des Fahrers an den Sahararand 
                                chauffieren lassen kann. Meine Kleidung hatte nach der Fahrerei arg gelitten. Die ehemals tiefblaue Jeans war jetzt sandfarben, gleiches galt für meine Stiefel. Dermaßen abenteuerlich aussehend, wagte ich es, das 
                                oben beschriebene Restaurant zu betreten. Freundlich wurde ich bedient, denn bisher war ich der einzige Gast. Doch als dann, nach dem Ertönen einer Art Kuhglocke ganze Scharen von Touristen einfielen, wurde ich 
                                sofort aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Kaum waren die ersten Nahrungsmittel auf dem Tisch, als auch schon die bäuchlings hängenden Kameras samt Blitzgeräten und Superteleobjektiven zum Einsatz kamen. 
                                Scheinbar spielten sich die wahren Naturereignisse nun im Restaurant und nicht in der Todrhaschlucht ab. Nun denn... Ich hatte mein Fläschchen Wasser mitgenommen und gesellte mich zu meinem Motorroller. Ich 
                                genoss und schwieg. Es fiel mir schwer, mich von dieser Idylle loszureißen. Ein letzter Blick, ein letztes aufsaugen der Oasenluft - Romantiker werden auf ihre Kosten kommen. Ein kleiner Junge, den ich an der 
                                steil bergab führenden Straße auf meiner Weiterfahrt traf, schenkte mir ein aus Gräsern geflochtenes Kamel. Ich ließ ihn dafür einmal auf meinem Roller sitzen. Ein strahlendes Lächeln war der Dank. Mit einem 
                                Mal verdüsterte sich sein Gesicht, alle kindlichen Züge verschwanden und er gab mir durch Zeichen zu verstehen, dass er etwas zu rauchen haben wollte. Ich war sprachlos. Als ich schließlich weiterfuhr, schimpfte 
                                er hinter mir her und gestikulierte heftig. Mir war auf einmal nicht mehr klar, ob er die Freude auf meinem Roller sitzen zu dürfen, nicht nur gespielt hatte. Die Landschaft schloss ich immer mehr in mein Herz, 
                                doch der Zugang zu den Herzen der Marokkaner schien mir durch unüberwindbare Blockaden verbaut zu sein. War dies das Ergebnis des Tourismus, der Tribut, den zu Voyeuren abgestiegene Voyageure zu verantworten haben?
                                 Noch bevor ich die eigentliche Hauptstraße erreicht hatte, wurde ich von Kindern mit Steinen beworfen. "Beworfen" ist eigentlich das falsche Wort, denn die Knaben waren in Besitz von Steinschleudern. 
                                Zu meinem Glück beherrschten sie aber den Umgang mit diesen Geräten noch nicht perfekt. Vielleicht war es auch zu schwierig, ein fahrendes Hindernis abzuschießen. Ein faustdicker Stein flog mit Wucht an meinem 
                                Helm vorbei. Was sollte ich tun? Anhalten und mir eines der Kinder greifen und zu seinen Eltern schleppen? Ich fuhr mit Vollgas weiter, um nicht doch noch erwischt zu werden. Ein trauriger Abschied von der Gorges du 
                                Todrha. 
                              
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