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Casablanca
Christian weckte mich durch seine mit lauten Klappergeräuschen verbundenen Aktivitäten. Ich
blickte auf die Uhr: vier! Doch Christian blieb keine andere Wahl. Er hatte sich endgültig dazu durchgerungen, den Rest seiner Tour per Bus und Bahn zurückzulegen. Er schaute kurz in mein Zelt: "Also, bis
gleich in Casablanca!" Ich konnte noch einige Stunden schlafen, saß aber auch um 6.30 Uhr auf meinem treuen Gefährt. Noch vor "High Noon" erreichte ich den verabredeten Platz. Der Wächter war
mehr als nur unfreundlich. Ich wurde mit meinem Gepäck ausgiebig taxiert. Ekelhaft. Kurz nachdem ich mein Zelt auf dem steinigen Boden aufgebaut hatte, traf auch Christian ein. Wir waren uns ziemlich schnell
einig: längeres Kampieren an diesem Ort würde vermutlich den Verlust einiger Ausrüstungsteile nach sich ziehen. Wir verstauten das gesamte Gepäck in meinem Zelt. Alle Seesäcke verschlossen wir sorgfältig
und ketten sie zusammen. Wir wollten es etwaigen Dieben nicht zu leicht machen. Mit gemischten Gefühlen verließen wir das Camp, um endlich Casablanca zu erkunden. Wer hier das Casablanca aus dem gleichnamigen
Kultfilm sucht, wird bitterlich enttäuscht werden: Weit und breit kein „Rick’s Cafe Americain“, kein Bogie, keine Ingrid. Dafür findet man Hochhäuser, Großraumbüros, Armenviertel und
Luxushotels; wenig Feeling, wenig Flair. Damals wusste ich noch nicht, dass der Film "Casablanca" eine reine Studioproduktion war. Ich wollte „mein“ Rick’s Cafe finden, koste es was es
wolle. Nachdem wir Tankwarte, Postbeamte und zahlreiche Passanten nach diesem Lokal gefragt und stets ein verneinendes Kopfschütteln als Antwort erhalten hatten, erinnerte ich mich daran, dass die Fassade des
besagten Cafes im Film von dem Licht eines Leuchtturms periodisch erhellt wurde. Und schon waren wir auf dem Weg zum Leuchtturm Casablancas. Der Turm liegt etwas außerhalb der Stadt mitten in einem Gebiet, das man
wohl nur als Slums oder Getto bezeichnen kann. Wellblechhütten, teils mit löchrigen Dächern und offenen Kanalisationen stellten das Gros der Behausungen. In den öligen und stinkenden Fluten des Hafenwassers
spielten Kinder mit ausgedienten, aufgeblasenen LKW-Schläuchen oder sprangen in die Brandung. Schließlich erreichten wir den Fuß des Leuchtturms.
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Die Zugangstür war verschlossen und so bat ich Christian mit seinen ausgezeichneten Sprachkenntnissen nach dem Leuchtturmwärter zu fragen. Er hatte
Erfolg. Ein alter Mann, ich hielt ihn für einen gestrandeten Seemann, gab uns ausführlich Auskunft. Von meinem Filmcafe hatte auch er nichts gehört. Auf unser hin Bitten ließ er sich dafür aber erweichen,
seinen Turm von Innen zu zeigen. Unter schwerem asthmatischem Keuchen kletterte er eine nicht enden wollende Wendeltreppe zur Spitze des Leuchtturms empor. Aufgeregt folgten wir ihm. Wer von den Besuchern
Casablancas war wohl schon einmal auf dem Leuchtturm der Stadt? Von der Kuppel des Turmes hatten wir einen einmaligen Ausblick auf und über Casablanca. Der Kontrast von Arm und Reich wurde überdeutlich sichtbar.
Unter uns die Slums; in geringer Entfernung glasverspiegelte Nobelhotels mit davor geparkten Luxuslimousinen. Alle mir bisher entgegengebrachten Feindseligkeiten seitens der Marokkaner erschienen mir plötzlich in
einem anderen Licht. Würde ich nicht selbst mit Steinen und Obst nach gut betuchten Touristen werfen, wenn ich hier leben müsste?
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Casablanca, die Stadt meiner Filmträume; da lag sie unter mir und bot einen schockierenden Anblick. Einen Anblick, der zugleich der Schlüssel zu einem
besseren und tieferen Verständnis der Nordafrikaner für mich war. Es war der brutale Gegensatz von Arm und Reich, von Elend und Luxus, von Hunger und Überfluss, der sich in meine Seele fraß, der meine Reise und
fraglos jede weitere meiner Touren unter einem anderen Licht erscheinen lassen würde. Mit diesen Gefühlen verließen wir den Turm und bedankten uns mit einem Trinkgeld für die Mühen des Leuchtturmwächters,
obwohl er zum Ausdruck brachte, dass dies nicht nötig sei, was wir mit Überraschung und Freude zu Kenntnis nahmen. Christian hatte in Quarzazate, wie ich bereits erwähnt hatte, die Adresse eines in Casablanca
beschäftigten Lufthansaangestellten ergattert. Telefonisch vereinbarten wir ein Treffen. Die noch verbleibende Zeit nutzten wir für weitere Ermittlungen, "Rick’s Cafe" betreffend. Eines der
großen Hotels verfügte wenigstens über eine Bar mit dem Namen "Casablanca". Auf einer Bühne standen zwei edle Konzertflügel deutscher Produktion; die Wände schmückten Großaufnahmen aus dem
Kultfilm. Wir tranken entsprechend Bourbon und gaben uns der Illusion hin, endlich in Rick’s Cafe Americain zu sitzen. Gegen Abend trafen wir Ulrich in einem Eiscafe. Er erzählte uns, dass er, obwohl
schon lange in Casa arbeitend, er ähnliche Probleme mit den Einheimischen hatte, wie wir. Darum sprach er immer wenn sich die Gelegenheit bot, deutsche Touristen an, um sich wenigstens hin und wieder mit
Landsleuten unterhalten zu können. Wir konnten ihn nur zu gut verstehen; auch ohne übertriebenen Nationalismus oder gar Ausländerfeindlichkeit. Er lud uns zum Essen ein und bot uns an, die Nacht doch in
seinem Haus zu verbringen. Wir nahmen an. Ich hatte jedoch schon zu diesem Zeitpunkt beschlossen, noch diese Nacht Casablanca zu verlassen und mich auf den Heimweg zu machen. Ein Entschluss, den ich noch bereuen
sollte. Ulrichs Frau bereitete uns ein köstliches Mal. Zuvor hatten wir übrigens den Campingplatz geräumt und unsere Ausrüstung in unser neues Domizil geschleppt. Der Abend baute uns alle wieder auf.
Jeglicher Frust war verflogen. Vielleicht hatte ich es diesem Umstand zu verdanken, dass ich mich um 23 Uhr verabschiedete und Richtung Rabat losknatterte.
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