Ein Bayer im Fahrradrausch
Nachdem ich Tunnel und Umgebung verewigt hatte, speiste ich erst einmal
ausführlich und hielt Ausschau nach meinem radelnden Freund. Endlich, gegen 16.00 Uhr sah ich ihn die Passstraße hochasten. Sein Fahrrad hatte ihn nicht im Stich gelassen und entsprechend übermütig viel sein
nächster Vorschlag aus: "Ich fahre weiter bis Meski! Die vierzig Kilometer schaffe ich auch noch!" Mir fehlten die Worte. Wie konnte man nur bei weit über 30 Grad im Schatten nach hundert Kilometern
Passstrampelei noch weiter fahren wollen? Christian war mir in diesem Augenblick wirklich etwas unheimlich. Doch sein Entschluss stand fest. Vielleicht hatte auch der Gedanke an den zu erwartenden Swimmingpool seine
Entscheidung geprägt? Ich kutschierte jedenfalls mit meiner Vespa wieder vorweg. Hin und wieder traf ich Kinder am Straßenrand, die von ihren Eltern dazu angehalten worden waren, Obst am Straßenrand den selten
genug vorbeikommenden Touristen feilzubieten. Fuhr ich an ihnen vorbei, ohne ihre Waren zu beachten und ohne etwas zu kaufen, wurde ich zur Strafe mit kleinen Steinen oder gar dem Obst selbst beworfen. Da es mir
dank meiner Motorisierung jedoch möglich war, diese "Gefahrenquellen" zügig zu passieren, war die Trefferquote der Athleten gering. Unwillkürlich musste ich an Christian denken: er war um vieles
langsamer und damit den Weitwerfern wohl ein willkommenes Ziel. Tatsächlich erfuhr ich später, dass ihm die Kinder ordentlich zugesetzt hatten. Doch hier sollte man milde urteilen und daran denken, dass es kein
Vergnügen sein kann, im Alter von fünf oder sechs Jahren vorbeifahrenden Touristen, die in oder auf ihren Luxusgefährten sitzen und über allen erdenklichen Komfort verfügen, frisches Obst zu verkaufen, während
man selbst in Armut und Entbehrung leben muss.
|